Fast Fashion – Die Geschichte einer Industrie

Fast Fashion bei Mundgerecht
In unserer ersten Ausgabe von „Mundgerecht“ zeichnet Ekolgiskamag-Redakteurin Jona Zhitia die Geschichte von Fast Fashion nach. ©Canva

Carlo Michael Sommer definiert „Kleidung“ folgendermaßen: „Die Kleidung ist die zweite Haut des Menschen. Sie erlaubt ihm, seine Identität zu formen, zu vergegenständlichen und zu präsentieren. Früher war es nur „höheren“ Schichten vorbehalten der Mode zu folgen, mittlerweile partizipieren selbst Haushalte mit geringstem Einkommen an den neuesten Trends. Das hat viel damit zu tun, dass Kleidung seit den 1960er Jahren zugänglicher, d.h. günstiger und verfügbarer geworden ist. Wie kam es dazu, dass sich unser Kleidungskonsum seit 1960 vereinfacht hat? In unserer ersten Ausgabe unseres Wissensmagazins Mundgerecht zeichnet Redakteurin Jona Zhitia den historischen Verlauf einer der größten Industrien weltweit nach: Fast Fashion.

Der Beginn der „Mode”

Was für uns heute so selbstverständlich ist, fand vergleichsweise spät Einzug in die Gesellschaft. Das Konzept der Mode verbreitete sich in europäischen Gesellschaften erst im 14. Jahrhundert, so die Autorin Ruth Klein in „Lexikon der Mode“. Ein großer Faktor war die Stilisierung des eigenen Körpers: Man versuchte sich mittels Kleidung den Körper zu formen, der als erstrebenswert galt. Am bekanntesten dafür: das Korsett. Je wohlhabender die Gesellschaft wurde, desto wichtiger wurde Mode auch für den sozialen Status. “Kleider machen Leute” heißt es nicht umsonst im Volksmund. Soziale Zugehörigkeit lässt sich nachwievor mit Geschmack und Kleidung „beweisen“.

Von Weberei zur Fabrik

Mode als Mittel zum Selbstausdruck und sozialer Zugehörigkeit mag zwar das Fundament für den Bedarf nach Fast Fashion darstellen, aber die tatsächliche Massenproduktion war erst viel später möglich. Und zwar im Zuge der Industrialisierung. Tatsächlich begann die Industrialisierung sogar in der Textilindustrie. Eine der erfolgreichsten Erfindungen war wohl die „Spinnig Jenny“, eine Webmaschine. Sie wurde 1764 von James Hargreaves erfunden und war auch hierzulande weit verbreitet. Außerdem verschaffte sie England einen internationalen Vorsprung in der Textilindustrie. Das war ein großes Problem für die Wirtschaft auf dem Festland, die im Zuge dessen immer mehr an Bedeutung verlor. Bereits im Frühjahr 1844 waren Weber:innen von Hunger betroffen und revoltierten gegen die Ausbeutung ihrer Arbeit.

Zunehmende Ausbeutung und schnellere Produktion

Die Produktionsrevolution wurde auch angetrieben von der Konsumrevolution: Der deutsche Baumwollverbrauch stieg pro Kopf von 1834 bis 1900 ungefähr auf das Zehnfache.

Die Proteste der Weber:innen (primär waren Männer an diesen Protesten beteiligt bzw. werden Frauen historisch kaum erwähnt) blieben ohne größere Konsequenzen. Stattdessen kam es zu einem Ausbau der Fabriken mit dem Resultat, dass der Bedarf an Handarbeit immer weniger wurde und die einzelnen Arbeitenden durch Maschinen ersetzt wurden. Die Produktionsrevolution wurde auch angetrieben von der Konsumrevolution: Der deutsche Baumwollverbrauch stieg pro Kopf von 1834 bis 1900 ungefähr auf das Zehnfache.

Mit der zunehmenden Industrialisierung kam es zu mehr und mehr Konkurrenz zwischen den Arbeitsnehmenden. Zusätzlich dazu gab es kaum staatliche Reglementierungen bezüglich des Arbeitsrechtes oder anderen Schutzvorkehrungen. Die sogenannten „Fabrikherren” bestimmten über Arbeitszeiten (für gewöhnlich 14 bis 16 Stunden täglich) und freie Tage (normalerweise kein Urlaub und freier Sonntagvormittag). Die Ausbeutung durch niedrige Löhne befeuerte das Wachstum der Branche umso mehr.

Zur Einordnung: Warum so früh in der Geschichte anfangen?

Es stimmt, dass das, was wir heute als „Fast Fashion“ verstehen, seinen „tatsächlichen“ Ursprung erst viel später, und zwar in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat. Aber die die historischen Hintergründe sind wichtig, um mehrere Dinge zu verstehen:

  • Welche gesellschaftlichen Prozesse und Strukturen dieser Industrie zugrunde liegen
  • Wie sich der Bedarf und das Verlangen nach Konsum entwickelten
  • Und am wichtigsten: Wie sich das Konzept des Kapitalismus durchsetzte: Nicht durch Innovation oder Unternehmer:innengeist, sondern durch Ausbeutung.

Was zunächst klingt wie ein erneutes Mahnen über den „bösen“ Kapitalismus, soll jedoch genauer betrachtet werden. Das Wirtschaftssystem, wie wir es heute kennen, fand seinen Beginn im 17. Jahrhundert mit der Frühindustrialisierung. Oft werden aus dieser Zeit vor allem technische Innovationen erwähnt (z.B. die Dampfmaschine). Was jedoch vergessen wird ist, dass es in dieser Zeit zu einer großflächig organisierten Ausbeutung der Bevölkerung kam. Natürlich wurden davor auch Menschen ausgebeutet, jedoch wurde im Rahmen der Industrialisierung diese Ausbeutung zum ersten Mal auf globaler Ebene organisiert.

Anfang des 20. Jahrhunderts

Im Jahr 1913 machte Baumwolle 85 Prozent der Textilien auf dem Weltmarkt aus. Das Material wurde vor allem aus den USA in die Welt exportiert, wo sie wegen der Sklaverei (und auch nach ihrer Abschaffung durch weitere Ausbeutung von Schwarzen Menschen) billig angebaut werden konnte. Baumwolle ersetzte vor allem auch hochwertigere Textilstoffe wie Seide, Wolle und Leinen, schreibt Historiker Stephan Lindner in Den Faden verloren. Die westdeutsche und die französische Textilindustrie auf dem Rückzug. Von 1900 bis 1920 stieg die weltweite Baumwollproduktion um 40 Prozent. Interessant: Die Produktion herkömmlicher Wolle hingegen hat sich im gesamten 20. Jahrhundert kaum verändert. Die Gesamtproduktion von Textilien verläuft bis 1920 gleichmäßig mit der von Baumwolle. Erst 1940 macht sich ein neues Material auf dem Markt bemerkbar: die Chemiefaser.

Chemiefasern: Die Geburtsstunde von Nylon

In den 1930er Jahren gelang der US-amerikanischen Firma Du Pont ein Durchbruch: Sie brachten Nylon auf den Markt. Sieben Jahre arbeitete der Wissenschaftler Wallace Hume Carothers an dem Stoff, bis es 1935 dann endlich soweit war. 1939 wird dann das erste Massenprodukt mit der neuen chemischen Faser vorgestellt: Die Feinstrumpfhose. Allein am ersten Tag werden fünf Millionen Nylonstrümpfe verkauft. Was für uns jetzt nicht besonders viel klingt, war damals eine Sensation. Der erste Schritt in Richtung moderner Massenkonsum ist getan.

„Es machte einfach schöne Beine“

Elisabeth Hackspiel-Mikosch, Professorin für Modetheorie und Modegeschichte

„Jede Frau träumte von echten Seidenstrümpfen, doch die waren sehr teuer“, erklärt Elisabeth Hackspiel-Mikosch, Professorin für Modetheorie und Modegeschichte an der AMD Akademie Mode & Design Düsseldorf. Außerdem spricht noch etwas für Nylon: „Es machte einfach schöne Beine“. Das bringt uns gleich zurück zum Beginn der Mode: Kleidung als Instrument, um sich einen schöneren Körper zu formen.

Strümpfe waren sozusagen das erste Massengut der Fashionindustrie. Sie waren vor allem auch deshalb wichtig, weil bis in die 1970er Jahre Frauen in Hosen nicht gern gesehen wurden. Klar gab es die ein oder andere Ausnahme, aber die Mehrheit trug Kleider und wer Kleider trug, der brauchte Strümpfe. Das „neue“ Nylon erlebte jüngst ein Comeback: Es heißt „Econyl“ und besteht aus Nylon-Abfällen.

Automatisierung: Der letzte Schritt zur Massenproduktion

Während bereits in den zwei Jahrhunderten davor die Automatisierung eine große Rolle spielte, gab es während des Zweiten Weltkrieges nochmal einen Durchbruch. Wegen des Mangels an Textilien kam es in dieser Zeit zu einer stärkeren Standardisierung und Funktionalisierung der Mode, schreibt Christopher Breward in Oxford History of Art: Fashion. Das führte dazu, dass auch nach dem Krieg die Konsumierenden der Mittelklasse Kleidung aus der Massenproduktion kauften. Jedoch ist es wichtig zu erwähnen: In diesen Fabriken arbeiteten hauptsächlich migrantische Frauen, ohne Arbeitsschutz und mit sehr schlechtem Gehalt. Sexuelle Übergriffe und Gewalt gehörten zur Tagesordnung.

Die 1960er: Der Beginn moderner Fast Fashion

Chemische Fasern und internationaler Import/Export machten es möglich, Kleidung en masse zu produzieren und zu verkaufen. Tatsächlich war die Nachfrage erst in den 1960er Jahren soweit. Die Jugend wollte komplett neue Mode, die sich von der Elterngeneration deutlich abhebt. Aber bezahlbar musste es trotzdem sein. Das konnten Labels durch verschiedene Strategien bedienen. Eine der am weitesten verbreiteten war natürlich das Outsourcing der Arbeitskräfte in andere Länder, wo die Rechtslage instabiler war und die Ausbeutung durch unmenschliche Löhne und Arbeitsbedingungen einfacher war. Durch den technischen Fortschritt war der Transport der Ware in Länder wie die USA, Deutschland und Großbritannien problemlos möglich.

2000er Jahre: Nicht mehr billig sondern chic

In den 00er Jahren erlebte „Fast Fashion“ noch ein Upgrade. Bis dahin galten H&M, Zara etc. immer noch als „billig“, um die Jahrtausendwende fanden diese Marken aber Einzug in Fashionmagazine und wurden von Celebrities auf roten Teppichen getragen. Das war die Krönung von Fast Fashion. Auf einmal war sie nicht nur cool, sondern auch chic. Das machte die Selbstdarstellung für viele unglaublich leichter und vereinfachte es auch, einen bestimmten sozialen Status zu imitieren.

Ultra Fast Fashion

Die Steigerung von Fast Fashion ist Ultra Fast Fashion. Während Zara und H&M noch örtliche Läden betreiben, setzt Ultra Fast Fashion auf einen reinen Online Vertrieb. Mit großem Vorteil: So können Kleidungsstücke, die noch nicht produziert wurden, vermarktet werden. Lediglich Prototypen für die Models gibt es. Dafür Aufkommen müssen dann die Näher:innen, die unter elenden Arbeitsbedingungen schnellstens die Ware produzieren müssen. Diese sind oft vor Ort. In Leicester, England, beispielsweise wurde gerade eine Fabrik auffällig, die 700 Mitarbeitende hatte: Alle größtenteils weiblich und migrantisch. Sie arbeiten für weniger als die Hälfte des englischen Mindestlohns und erhalten kaum bis keinen Arbeitsschutz. Beobachtende sagen, das wäre der Regierung schon länger bekannt. Das man erst im Extremfall aktiv wird liegt vermutlich an dem wirtschaftlichen Profit, die diese Ausbeutung im Inland ermöglicht.

Aber was bedeutet Ultra Fast Fashion konkret? In Zahlen ausgedrückt: 4500 neue Modelle entwickelt die britische Firma Asos pro Woche. Im Vergleich dazu: Bei Zara sind es 65 000 pro Jahr. In den letzten 15 Jahren ist unser Kleidungskonsum um 60 Prozent gestiegen. In den nächsten 15 Jahren wird sich, wenn der Entwicklungstrend bestehen bleibt, der Konsum noch einmal verdoppeln.

Fast Fashion heute: Die Industrie der Verschwendung

Anfang 2021 lagen eine halbe Milliarde unverkaufte Kleidungsstücke in den Läden des deutschen Einzelhandels. Dazu kamen 300 Millionen Teile, die sich noch im Transport befanden. Und dann war da eine weitere halbe Milliarde Teile, die der Frühlingskollektion, die in den Startlöchern standen. Wohl gemerkt: Diese Zahlen beziehen sich nur auf den Einzelhandel und nicht auf den Online-Verkauf.

Dieser Konsum ist natürlich eine enorme Belastung für die Umwelt. Nur für die Herstellung, den Warentransport und den Gebrauch – Waschen, Trocknen und Bügeln – von Kleidung werden jährlich über 850 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Währenddessen werden Altkleider Container hierzulande abgebaut, weil sie den Kapazitäten nicht standhalten, und weiterverkaufen kann man die Waren sowieso nicht mehr: Denn die Qualität ist zu schlecht. Über 42 Nationen haben den Import von Altkleiderware mittlerweile verboten. Die Stoffe lassen sich auch kaum recyceln, zu oft sind die Fasermischungen ungeeignet.

Zukunftsprognosen

Die erwarteten Entwicklungen der Industrie lassen nichts von nachhaltigem Trend spüren. Bis 2025 soll der Umsatz von Zara beispielsweise auf 2,1 Billionen Dollar steigen. In der Textilindustrie werden über 70 umweltgefährdende Chemikalien eingesetzt, die Behandlung von Baumwolle führt zur Gewässerverschmutzung und natürlich muss der Einsatz von riesigen Mengen an Pestiziden in diesem Zusammenhang erwähnt werden.

Der Wirtschaftswissenschaftler Ricardo Pérez ist Experte für neue Technologien und hat mehrfach mit Inditex (also Zara) auf Projektbasis zusammengearbeitet. Er sagt, wenn die Kund:innen bereit seien, dafür auch mehr Geld zu bezahlen, werde Zara gemäß der Firmenphilosophie auch auf diese Wünsche reagieren. Eine problematische Haltung. Denn solange die staatliche Regulierung nicht greift, wird sich an der Zahlungsbereitschaft der Kund:innen nichts ändern. Die Löhne sinken und unsere Gesellschaft ist nach wie vor eine, die Teilnahme erst durch Konsum ermöglicht. Zu verlangen, dass nun auf einmal alle gewillt sind, Geld, das sie wahrscheinlich nicht haben, auszugeben, ist absurd.


Dir gefällt, was wir machen? Dann werde Teil der EKOLOGISKA-Community und abonniere unser Magazin und unterstütze unabhängigen Klima-Journalismus. Warum das wichtig ist, erklären wir hier. 

Kommentar verfassen