Miss Germany 2022: Domitila Barros über ihren neuen Titel, die Macht von Social Media und ihr Menschenbild

Domitila Barros ist Miss Germany 2022. Foto: Zur Verfügung gestellt von Domitila Barros.

Domitila Barros ist Miss Germany 2022. Barros engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für Nachhaltigkeit und Klimaschutz, arbeitet als Beraterin für Unternehmen in Sachen nachhaltige Transformation und hat mit ‚She is from the Jungle‘ ein eigenes Label für Fairtrade Schmuck gegründet. Um ihren Aktivismus zu finanzieren, arbeitet sie außerdem als Schauspielerin und Model. Ursprünglich in Brasilien geboren, lebt sie seit 2006 in Deutschland. Schon im Jahr 2000 erhielt die damals 15-jährige ihre erste Auszeichnung. Die UNESCO würdigte ihr Engagement für Straßenkinder in der Favela, in der sie aufwuchs, mit dem Millenium Dreamer Award. Heute, 22 Jahre später, bekommt sie eine weitere große Auszeichnung: Domitila Barros ist Miss Germany 2022. Im Interview mit EKOLOGISKA MAG erklärt sie, warum diese Auszeichnung für sie als Aktivistin so wichtig ist.

Was bedeutet es, Miss Germany zu werden?

EKOLOGISKA MAG: Wenn man deine Lebensgeschichte liest, bekommt man Gänsehaut. Zumindest ging es mir so: Du bist selbst in einer Favela großgeworden und hast schon mit 13 Jahren begonnen, dich sozial zu engagieren. Dafür wurdest du mit dem Millenium Dreamer Award der UNESCO ausgezeichnet. Das ist jetzt knapp 20 Jahre her. Vor Kurzem hast du dann eine weitere Auszeichnung bekommen: Du bist nämlich Miss Germany 2022. Herzlichen Glückwunsch! Du sagst, durch die Auszeichnung hast du damals gespürt, dass du etwas verändern kannst. Wie stark ist dieses Gefühl heute?

DOMITILA BARROS: Das ist eine sehr schwierige Frage. Gerade weiß ich nämlich überhaupt nicht, was mit mir passiert und was eine Miss Germany macht. Das ist alles noch sehr neu für mich. Aber es gibt eine Sache, die ich an dieser Stelle immer gerne sage: Es ist nicht Domitila, die Miss Germany geworden ist, sondern die Mission. Ich bin so glücklich und dankbar und fühle mich sehr geehrt, Gesicht zeigen zu dürfen für unsere Themen: Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Die gehen für mich schon immer Hand in Hand. 

Eins möchte ich in diesem Zusammenhang nochmal ganz deutlich machen: Ja, ich habe mit 13 in dem Straßenkinder-Projekt gearbeitet und im Jahr 2000 den UNESCO-Award bekommen. Aber es war nie so, dass ich aufgestanden bin und gedacht habe: Jetzt werde ich Aktivistin. Sondern es war Handeln aus der Not heraus. In der Favela, in der ich großgeworden bin, ist meine beste Freundin vor meinen Augen ermordet worden. Da war ich zwölf Jahre alt. Und ich habe mein Leben lang Kinder gesehen, die sich aus dem Müll ernähren. Und aufgrund dessen, dass ich mit den Konsequenzen eines nicht fairen und nachhaltigen Umgangs mit unserer Mutter Erde aufgewachsen bin, gab es für mich keine Alternative, außer mich einzubringen. Dass ich jetzt, 22 Jahre später, Miss Germany werde, das ist für mich mehr als nur Dreams come true.

Der Einzelne kann nichts verändern? Von wegen!

Ich bin keine Streberin oder Perfektionistin, ich bin nur eine Träumerin, die ein riesiges Bedürfnis hatte, etwas zu verändern, weil ihr das System nicht fair vorkam.

domitila barros, miss germany 2022
Domitila Barros ist MIss Germany 2022. Foto: Leo Motta/JC Imagem

EKOLOGISKA: Wow, ich hätte nicht gedacht, dass wir jetzt schon an einen so emotionalen Punkt kommen, mir stehen wirklich die Tränen in den Augen. Das ist so krass, was du erlebt hast und wie du trotzdem weitermachst. Ich musste in der Vorbereitung daran denken, dass in Interaktion mit unseren Leser:innen oft dieses Gefühl von „Wir können ja gar nichts verändern“ aufploppt. Wenn man dann aber deine Geschichte liest, dann kann man nicht anders als „Yes, you can!“ zu denken. Wie siehst du das?

DOMITILA: Ich werde jetzt auch ein bisschen emotional, weil es so ein langer Weg gewesen ist, bis ich in diesem Bereich gehört wurde, besonders auf deutsch. Und ich finde es wichtig, dass Leute verstehen, dass du als Miss Germany kein Auto oder Geld bekommst – du bekommst die Plattform, um deine Mission bekannt zu machen. Ich habe in der letzten Woche 40 Interviews auf vier Sprachen gegeben. Ich finde das ist so wichtig, denn nur so versteht man, dass es mir von Anfang an darum ging, die Mission in den Mittelpunkt zu stellen.

(Ringt mit den Tränen) Es gibt natürlich auch immer Kritik, aber es ist so schön am Leben zu sein und zu erleben, dass genau dieser Weg mich hierhergeführt hat. Nun zurück zu deiner Frage. Wir haben damals schon in der Favela angefangen, Müll zu trennen und Wertstoffe zu recyceln – deshalb weiß ich, dass Jede:r etwas beitragen kann! Es ist mir sehr wichtig klarzustellen, dass niemand ein schlechtes Gewissen haben soll, weil er oder sie nicht schon früher angefangen hat, etwas zu tun. Oder sich mit dem Gedanken quält, immer mehr machen zu müssen. Nein. Es ist wichtig, dass wir alle als Menschen in Liebe zu Mutter Erde einen kleinen Beitrag leisten. Ich will nicht, dass sich jemand total unter Druck setzt, jetzt sofort Veganer:in zu werden und alles perfekt zu machen und dann nach zwei Tagen aufgibt, weil es nicht organisch ist. 

Es bringt nichts, sich selbst unter Druck zu setzen.

Domitila Barros

Ich weiß zum Beispiel, dass ich ab und an beruflich fliegen muss. Denn die Leute müssen mich erleben, ich kann nicht alles digital machen, denn ich bin eine Energie. Dafür verzichte ich auf ein Auto. Ich bin sehr dankbar für das Privileg in einem Land zu leben, in dem ich CO2-frei von A nach B komme. Deshalb sage ich: Setzt euch nicht unter Druck, aber macht etwas! Es ist wichtiger, eine kleine Veränderung zu machen, die nachhaltig ist, als dass man jetzt auf die Schnelle ganz viel macht, sich überfordert und selbst aufgibt. 

EKOLOGISKA: Wie willst du die Plattform, die Miss Germany dir bietet, im nächsten Jahr dafür nutzen, um Menschen zu motivieren?

DOMITILA: Interviews geben ist extrem wichtig. Aber nicht, weil ich Fame will. Ich bin seit 22 Jahren dabei, ich habe es nicht nötig, mich wegen eines Deals zu verkaufen. Aber ich brauche die Aufmerksamkeit der Presse, damit ich meine eigenen Narrative verbreiten darf. Meine Geschichte steht in keinem Geschichtsbuch. Für mich ist es deshalb extrem wichtig, in diesem Jahr so viele Menschen wie nur möglich zu erreichen, damit ich meine Narrative in den Bereichen soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbreiten kann. Ich will gehört werden und ich will, dass das Thema Nachhaltigkeit sexy wird. Heute habe ich einem sehr großen Mainstream-Magazin ein Interview gegeben und geschrien vor Freude, denn genau da sind die Menschen, die ich erreichen möchte. Nachhaltigkeit soll nach diesem Jahr kein Akademiker:innen-Abiturient:innen-Elite-Thema mehr sein, sondern ein Mainstream-Thema. 

Domitila Barros nach der Wahl zur Miss Germany im Europa Park.

Ich wünsche mir, dass die Menschen nach diesem Jahr nicht mehr stolz darauf sind sagen zu können, dass sie eine Chanel-Tasche tragen. Sondern dass sie sagen: Hey, ich habe es geschafft, das ganz Jahr über das Auto weniger zu benutzen.

domitila barros

Wir alle leben mit den Konsequenzen vom nicht-nachhaltigen Verhalten. Deshalb finde ich es wichtig, das Thema zu demokratisieren. Und dafür muss ich mainstreamfähig werden. Wir alle haben die Power, einen Impact im positiven Sinn zu erreichen. 

Nachhaltigkeit oft noch Frage des Preises

EKOLOGISKA: Du bist aber nicht nur Aktivistin, sondern hast auch selbst ein Unternehmen gegründet, das Schmuck- und Bademoden-Label ‚She is from the Jungle‘. Nachhaltigkeit muss man sich als Konsument:in ja oft leisten können. Wie bist du die Preisgestaltung bei deinem Unternehmen angegangen, damit es fair für alle ist?

DOMITILA: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kosument:innen nachhaltig einkaufen wollen, aber es eben doch oft eine Preisfrage ist. Mir war es wichtig, ‚She is from the Jungle‘ von Anfang an so aufzubauen, dass die Frauen, die die Produkte herstellen, gut davon leben können. Wir reden viel über Women Empowerment. Aber wenn mein Mann mich schlägt und ich kein Geld für ein Busticket habe, dann werde ich mich weiter schlagen lassen. Und deshalb sage ich: Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gehen Hand in Hand. 

Die Frauen, die die Produkte in Brasilien herstellen, kriegen deshalb den größten Teil des Gewinns. Mir war es aber auch wichtig, eine Preis-Range zu schaffen, die für jede:n zugänglich ist. Schmuck ist etwas, was man nicht oft kauft und in der Regel sehr teuer ist. Unser Schmuck ist nicht so teuer, aber schon teuer genug, dass alle am Fertigungsprozess beteiligten Personen bis hin zum Versand fair entlohnt werden. Ich habe als Unternehmerin außerdem die Entscheidung getroffen, meine Produkte nur in unserem Online-Shop zu verkaufen oder bei Partnern, die nicht für sich beanspruchen, den Hauptteil des Gewinns zu kriegen. Ich könnte viel mehr verkaufen, wenn ich die Produkte in anderen Shops platzieren würde, aber das kann ich mir nicht leisten. Und ich meine nicht finanziell, sondern aus Überzeugung. Denn die große Marge muss bei denen landen, die die Produkte produzieren – das ist meine Überzeugung. 

Miss Germany 2022: Menschen sind im Grunde gut

EKOLOGISKA: Du hast ja durch deine Lebensgeschichte Einblicke in Realitäten bekommen, die jemand, der hier in Deutschland geboren ist, wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommt. Was glaubst du, inwiefern hat das deine Sicht auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit geprägt?

DOMITILA: Was mich auf jeden Fall geprägt hat war einerseits die Tatsache, dass ich mit den Konsequenzen von nicht-nachhaltigem Handeln aufgewachsen bin – und zwar sehr direkt! Elektroschrott aus Europa wird zu großen Teilen nach Asien, Südamerika und Afrika exportiert. Genauso wie Klamotten und anderer Müll. Ich habe also schon immer gesehen, wie Kinder in Müll nach Essen suchen. Das hat mich nicht nur traumatisiert, sondern auch motiviert, diese Realität publik zu machen. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass Menschen im Grunde gut sind – man muss sie nur erreichen.

Die zweite Sache ist, dass ich gemerkt habe, dass Menschen grundsätzlich etwas Gutes tun wollen. Sie müssen nur wissen Wo, Wie, und Wann. Und das ist meine Hauptmotivation! Wir müssen jetzt Anfangen und in Liebe zu unseren Nächsten loslegen. Und deshalb ist es für mich wichtig, Gespräche wie dieses hier zu führen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir es noch schaffen können, das Ruder rumzureißen. 

Barros: Ich hatte es schwer, gehört zu werden

EKOLOGISKA: Gibt es etwas, was dich in diesem Zusammenhang an der Berichterstattung zu diesen Themen in Deutschland stört?

DOMITILA: Ja, auf jeden Fall! Schau mal: Ich habe 22 Jahre Aktivismus hinter mir, habe bei der Berlin und London Fashion Week mitgemacht. Und erst jetzt als Miss Germany darf ich öffentlich zu diesen Themen, meinen Themen sprechen. Es war vorher sehr schwer, mit meinen Narrativen öffentlich auftreten zu dürfen – und das, obwohl das Thema die letzten zehn Jahre aktuell war. Das andere Thema, das mich sehr beschäftigt, ist, dass das Thema Nachhaltigkeit in Deutschland sehr elitär behandelt wird. Ich war letztes Jahr zum ersten Mal zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis eingeladen und habe mich sehr wohlgefühlt, tolle Gespräche geführt. Danach hat meine Community mir gespiegelt, dass sie diesen Einblick toll fanden. Die Leute wollen also wissen, mitreden und helfen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jede:r Superhero-DNA hat.

domitila barros

Aber damit sich alle Menschen einbringen können, müssen wir besonders im Bereich Presse ehrliche, transparente und demokratische Narrative erlauben. Und da bin ich sehr dankbar für Social Media, weil ich unabhängig von der Presse meine Zielgruppe erreichen kann. 

EKOLOGISKA: Hast du dir ein Ziel für die Zukunft gesetzt?

DOMITILA: Ja, tatsächlich ist es mein Ziel, mit 40 Jahren genug Multiplikator:innen zu haben, sodass ich in Rente gehen könnte, ohne mir Sorgen zu machen, dass die Mission untergeht. Ich bin jetzt 37 Jahre und habe noch viel Energie, um mit der Generation Fridays for Future, der Generation Y zu zeigen, was möglich ist. Aber ich brauche euch, jeden, der das liest, genau jetzt. Und ich weiß genau, dass wir mit eurer Unterstützung Riesiges bewegen können. Viele, die das hier lesen, haben einen besseren Abschluss als ich, bessere Reichweiten, bessere Connections. Denkt daran: Wenn ich ohne Miss Germany, ohne Geld, ohne Daseinsberechtigung in der Presse 22 Jahre lang so viel erreichen konnte, was können wir dann wohl gemeinsam schaffen? Dann wird sich wirklich die Welt verändern. 

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