Grünlicht Milieu: Müssen wir zurück zur Atomkraft, um das Klima zu retten?

Atomkraft
War der Atomausstieg klimapolitisch betrachtet ein Fehler?

In unserer Kolumne Grünlicht Milieu befassen wir uns jeden Monat mit einem anderen, kontroversen Thema, das die Nachhaltigkeits-Bubble beschäftigt. Diesmal: Atomenergie.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung und die Umwelt-Bewegung sind seit jeher eng miteinander verbunden. Da wundert es nicht, dass sowohl die Grünen, als der politische Arm beider Bewegungen als auch Umweltverbände wie der BUND sich konsequent gegen den Einsatz von Atomenergie einsetzen. Aber was, wenn uns diese kategorische Ablehnung der Atomkraft in Sachen Klimaschutz auf die Füße fällt?

Wenn wir damals, 2011, statt des Automausstiegs den Kohleausstieg beschlossen hätten, dann wären wir heute deutlich weiter in Sachen klimaneutrale Energieversorgung. Denn Kohlestrom ist richtig dreckig. Während Kohle pro produzierter kWh Strom 820 Gramm CO2 ausstößt, sind es bei Atomenergie nur 12 Gramm – damit liegt Atomstrom gleichauf mit Windenergie. Klar ist also: Atomkraft ist in vielerlei Hinsicht besser als Kohlestrom.

Kohlestrom tötet mehr Menschen als Atomkraft

Auch in Sachen Sicherheit hat Atomenergie statistisch gesehen die Nase vorne. Eine Terrawattstunde Atomstrom produziert Wissenschaftler:innen zufolge nur 0,07 Tote – die Opfer von Tschernobyl und Fukushima miteinberechnet. Eine Terrawattstunde Kohlestrom produziert hingegen 24,6 Tote. Das sind mehr als 350 Mal so viele Todesfälle, was vor allem an der durch Kohlestrom verursachten Luftverschmutzung liegt. Durch die Feinstaubpartikel, die Kohlekraftwerke in die Luft feuern, erkranken jedes Jahr viele Menschen an Krankheiten wie chronischer Bronchitis oder sogar Lungenkrebs. Trotzdem gilt Atomenergie durch Unfälle wie Fukushima als Hochrisikotechnologie, während Kohle in der öffentlichen Wahrnehmung quasi gar nicht als Risiko gehandelt wird. Ich möchte an dieser Stelle nicht falschverstanden werden: Das hier ist kein Plädoyer für den unbeschränkten Einsatz von Atomenergie. Aber wir sollten auf Basis der Fakten gesellschaftlich neu verhandeln, welche Risiken wir auf welcher Basis wie bemessen.

Meine Generation und ich sind in erster Linie vom Klimawandel bedroht. Wissenschaftler:innen weisen in diversen Studien darauf hin, was passiert, wenn sich die Erde weiter erwärmt: Hitzewellen und Starkwetterereignisse treten verstärkt auf, was viele Tote fordern wird. Außerdem werden Lebensräume zerstört und Menschen dadurch zur Flucht gezwungen, was soziale Spannungen zur Folge haben wird. Das genaue Ausmaß der drohenden Katastrophe ist schwer abzuschätzen, weil niemand genau weiß, wie die Menschheit in Zukunft handeln wird. Klar ist aber, dass jedes Jahr, das wir weiter abhängig vom Kohlestrom sind, negativ zum Klimawandel beiträgt. Kohlestrom tötet also statistisch gesehen mehr Menschen als Atomkraft. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, warum die beiden Energieformen so unterschiedlich behandelt werden. Die eine als Hochrisikotechnologie, die andere als unverzichtbare Übergangslösung.

Tschernobyl und Fukushima haben ein Bild der Angst gezeichnet

Für mich mutet es ziemlich paradox an, dass die Grünen als Partei, die sich eigentlich dem Kampf gegen den Klimawandel verschieben hat, sich der Diskussion um die Rolle von Atomkraft kategorisch verschließen. “Atomkraft ist eine unbeherrschbare Hochrisikotechnologie”, schreibt die Partei beispielsweise auf seiner Website. Mit solchen Punchlines trägt sie natürlicherweise dazu bei, dass die Atomenergie das Image hat, welches sie eben hat. Nämlich das einer nicht beherrschbaren Größe, für deren Müll wir niemals eine Lösung finden werden.

Und ich bin ehrlich: Bevor ich mich tiefergehend mit diesen Themen auseinandergesetzt habe, war auch mein Bild von Atomenergie vor allem von Angst geprägt. Angst vor dem Super-Gau, Angst vor der Kernschmelze. Von einer verschmutzten Atemluft durch Kohlestrom hingegen habe ich mich nie bedroht gefühlt. Kein Wunder, denn durch schlechte Luft sterben nicht viele Menschen auf einmal. Bei Fukushima konnte man das Unglück quasi live im Fernsehen verfolgen – das hinterlässt Eindruck. Die vielen Toten durch Kohlestrom tauchen in keiner Nachrichtensendung auf und produzieren keine erschreckenden Bilder. Kein Wunder also, dass sich Menschen von Atomenergie so viel bedrohter fühlen.

Atomkraft macht Menschen Angst

Atomkraft löst ein Gefühl der Unsicherheit bei Menschen aus. Und das, obwohl es in Deutschland bisher keinen einzigen Atomunfall gab. Auch die Risikoanalysen für deutsche Anlagen geben einem keinerlei Anlass für diese starke Angst. Autorin und Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland schreibt in Hinblick auf die Analysen: „Bei deutschen Anlagen liegt Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit Beschädigung der Brennelemente bei alle fünf Millionen Jahre.” Ein Unfall mit Freisetzung radioaktiver Stoffe komme bei einer Anlage wie Isar-2 statistisch gesehen sogar nur alle 25 bis 50 Millionen Betriebsjahre vor. Anlagen wie sie in Deutschland stehen, sind heute durch multiple Sicherheitssysteme gegen diverse Unglücke abgesichert. Wir sollten also zumindest darüber nachdenken, unsere Risikobewertung in Bezug auf Atomenergie neu vorzunehmen.

Die Sache mit der Endlagersuche für den Müll der Atomkraft

Als Totschlagargument gegen Atomkraft wird oft die Endlagersuche angeführt. Denn, indeed: Bisher siehts eher mau aus. Finnland ist das einzige Land weltweit, das bereits ein Endlager gefunden hat. Nachdem Gorleben für Deutschland endgültig als Standort wegfiel, wurde die Endlagersuche 2013 wieder auf Null gesetzt. Das Ziel ist es, bis 2031 ein Endlager gefunden zu haben. Gemeint ist ein Endlager für hochradioaktiven Abfall – ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle wurde bereits gefunden. “Konrad” in Salzgitter geht 2027 in den Betrieb.

Die Endlagersuche in Deutschland wird von einer Reihe von Institutionen betreut. Das Standortauswahlgesetz regelt grundsätzlich, nach welchen Kriterien der Standort gewählt wird. Mit der Suche selbst betraut ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung. Diese hat inzwischen eine Analyse der Landfläche präsentiert, wonach prinzipiell 50 Prozent der Fläche endlagergeeignet sein könnten. Gesucht wird ein Ort, der sich zur Tiefenlagerung eignet, sodass der Atommüll Teil des Wirtgesteins werden kann und sicher verschlossen ist. Obwohl die Suche nach einem Endlager in der öffentlichen Wahrnehmung als Fass ohne Boden wahrgenommen wird, kommen Wissenschaftler:innen wie Rainer Moormann zu dem Schluss, dass es möglich ist, ein sicheres Lager zu finden. In seinem Buch ” Atommüll – Ungelöstes, unlösbares Problem?” schreibt er dazu:

Die grundsätzliche Machbarkeit eines hinreichend sicheren Endlagers wird in der seriösen technisch-naturwissenschaftlichen Literatur meiner Kenntnis nach nicht infrage gestellt.

– rainer moormann, experte für reaktorsicherheit

Diskussion um Atomenergie wird von Emotionen dominiert

Moormann kommt zu dem Schluss, dass die Diskussion um die Endlagersuche sich immer mehr ihrer sachlichen Grundlage entbehrt. Einen logischen Grund dafür, dass das Endlager beispielsweise eine Millionen Jahre überdauern muss, konnte er nicht finden. Zumal Atommüll nach 500 Jahren nicht mehr giftiger sei als “normaler” Chemiemüll. Würde man für diesen also nicht die gleichen Kriterien ansetzen (und das tut man nicht), gibt das einen Hinweis darauf, dass das Thema Atomenergie nach wie vor aufgeladen ist.

Müssen wir also zurück zur Atomkraft, um das Klima zu retten? Ich denke nicht, dass Atomkraft dauerhaft eine Lösung darstellt. Schließlich wird immer weiter hochradioaktiver Müll anfallen, der irgendwo entsorgt werden muss. Aber ich denke, dass wir mit einem frühen Ende des Kohlestroms und der Nutzung von Atomenergie als “Brückentechnologie” besser dran wären. Würde man ein Memorandum des Atomausstiegs für zwölf Jahre vereinbaren, so wie beispielsweise von Moormann und Wendland 2020 gefordert, würden nur insgesamt 10 Prozent mehr Atommüll anfallen. Das ist eine Menge, die bei der Endlagersuche kaum ins Gewicht fallen würde. Und die steht ja ohnehin noch aus.

Fazit: Kategorische Ablehnung sollte überdacht werden – zumindest auf Zeit

Unsere Anlagen sind sicher und das Risiko eines “Super Gaus” (in Deutschland!) extrem gering. Außerdem ist Atomenergie im Gegensatz zur Kohle sauber und keine so starke Bedrohung unserer Klimaziele. Ich bezweifle deshalb, dass die Reihenfolge, erst Atomausstieg und dann Kohle-Stopp, die richtige ist. Ich plädiere absolut nicht für die ewige Produktion von Atomstrom. Vor allem in Regimen, die aus den Abfällen der Atomkraftwerke Waffen bauen, sehe ich diese Technologie extrem kritisch, weshalb ich global gesehen für das Ende der Atomkraft bin. Aber der Klimawandel steht vor der Tür und Atomstrom ist sauberer als Kohle – ein Endlager suchen wir sowieso und die Anlagen sind schon da. Aus diesem Grund kann ich die fast militante Abneigung gegen Atomenergie nicht nachvollziehen – vor allem während wir zögern, ein zeitnahes Ende der Kohle festzuzurren. Atomkraft ist alleine ökonomisch gesehen keine Langfrist-Technologie. Aber in Klimafragen wären wir mit ihr deutlich besser beraten.


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