
Papier- statt Plastiktüte, Papierverpackung, Papierverkehr: Unser Papierverbrauch ist hoch und Papier gilt oft als Öko-Alternative. Doch ist es das auch? Nur bedingt, sagt Evelyn Schönheit, die als Diplom Umweltwissenschaftlerin für das Forum Ökologie & Papier arbeitet. Ihr Ziel: Für einen achtsameren Umgang mit Papier sensibilisieren. Denn obwohl e sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt, geht der Papierverbrauch nicht spurlos an der Umwelt vorbei. Im Interview erklärt sie, warum.
Papier als nachwachsender Rohstoff
EKOLOGISKA: Lassen Sie uns zu Beginn gleich mit einem Mythos aufräumen: Weit verbreitet ist immer noch die Annahme, dass der eigene Papierverbrauch egal ist, weil es sich bei Holz und einen nachwachsenden Rohstoff handelt. Was ist falsch an dieser Annahme?
EVELYN SCHÖNHEIT: Klar, Holz wächst nach, aber das braucht Zeit, die wir nicht haben. Eine Fichte z. B. als typischer Baum für die Papierherstellung benötigt dafür 70 bis 80 Jahre. Klimaschutz muss aber jetzt passieren. Deshalb sollte viel mehr Wald in Ruhe gelassen, weniger eingeschlagen werden, damit sich mehr Holz, mehr „Biomasse“ aufbauen und dadurch mehr CO2 speichern kann. Und zugleich für mehr Schatten, Feuchtigkeit, Kühlung, ein gesundes Waldinnenklima und damit für Widerstandsfähigkeit gegen die Klimakrise sorgt. Aber auch für den Erhalt der Artenvielfalt und die vielen weiteren Funktionen der Wälder wie Sauerstofferzeugung, Wasserregulation, Bodenschutz, Erholung und Schönheit.
EKOLOGISKA: Wir beide sind ins Gespräch gekommen, weil ich einen Verpackungscheck vom NABU geteilt habe. Darin schneiden die Getränkekartons besser ab als die Einweg-Gläser, weil die Kartons unter anderem einen „relativ hohen Anteil an nachwachsenden Rohstoffen“ vorweisen können. Sie kritisieren die zugrundeliegenden Berechnungen. Warum?
SCHÖNHEIT: Weil auch hier – und das ist leider immer noch übliche Methode der Ökobilanzierung – Holz als nachwachsender Rohstoff und damit CO2-neutral gewertet wird. Dabei sind gerade die Wälder in Skandinavien, die einen Großteil des Holzes für Getränkekartons liefern, in einem sehr schlechten Zustand. In Schweden gelten nur 10 Prozent der wirtschaftlich nutzbaren Wälder als halbwegs naturnah und ihre Fähigkeit zur Bindung von Kohlendioxid ist in den letzten Jahren aufgrund der starken Holzentnahme um etwa ein Sechstel gesunken. In Finnland waren die Emissionen aus der Abholzung und den organischen Böden 2022 zum ersten Mal größer als die Waldsenke, also die Aufnahme von Kohlenstoff. Als unsere wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Klima- und Artenkrise müssen wir Wälder dringend schützen.

Zur Person: Ich bin Evelyn Schönheit, liebe Bäume, habe Umweltwissenschaften studiert und arbeite als Expertin für das Forum Ökologie & Papier. Ein Praktikum bei Robin Wood im Waldbereich hat mich für das Thema begeistert, denn Papier verbraucht fast jede*r täglich, die Gesamtmengen sind riesig und entsprechend groß ist der Hebel, durch bewussten, sparsamen Umgang einen echten Unterschied zu machen: für den Wald und damit den Klima- und Artenschutz. Und – was gar nicht so bekannt ist – für bessere Lebensbedingungen vieler Menschen vor allem im globalen Süden.
Das Holz für unser Papier kommt oft von weit her
EKOLOGISKA: Woher stammt eigentlich das Holz, das in unserem Papier verarbeitet wird?
SCHÖNHEIT: Das Papier, das wir in Deutschland verbrauchen, besteht zu über 80 Prozent aus importiertem Holz. Der Großteil kommt aus Skandinavien – Schweden und Finnland – sowie aus Südamerika, vor allem Brasilien, aber auch Uruguay und Chile. Nicht einmal 20 Prozent stammen aus unseren eigenen Wäldern. Die ökologischen und sozialen Folgen der Abholzung, Waldzerstörung und Plantagenwirtschaft werden also in andere Länder verlagert. Das kennen wir auch aus dem Bereich Lebensmittel, der Herstellung von Textilien oder der Fertigung von elektronischen Geräten wie Handys. Deshalb ist es so wichtig, bei allen Produkten zu hinterfragen: Woher kommen die Rohstoffe, unter welchen Bedingungen werden sie gewonnen?
Etwa zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten leben in Wäldern. Artenvielfalt wiederum erhöht die Fähigkeit von Ökosystemen, sich an Umweltveränderungen wie die Klimakrise anzupassen – Arten- und Klimaschutz stehen in Wechselwirkung zueinander.
Evelyn Schönheit
Holzanbau verursacht viele Probleme
EKOLOGISKA: Welche Probleme verursacht unser Holzkonsum vor Ort, zum Beispiel in Südamerika?
SCHÖNHEIT: Wertvolle Waldgebiete werden eingeschlagen, in Brasilien vor allem in der Savannenlandschaft des Cerrado. Vielfach breiten sich industrielle Baumplantagen auf Flächen aus, die Bauern seit Generationen bewirtschaften, von denen sie gemeinsam mit ihren Familien leben. Viele werden unter schweren Land- und Menschenrechtsverletzungen vertrieben, die meisten von ihnen landen verarmt in Slums großer Städte. Außerdem sind auf den Monokulturen Düngemittel und Pestizide im Einsatz, die Böden, Gewässer und Gesundheit der Anwohner belasten. Eukalyptus braucht sehr viel Wasser für seinen raschen Wuchs, das führt in den heißen, trockenen Gebieten teils zu verheerenden Bränden. All dies trifft Menschen, die ohnehin am stärksten von der Klimakrise betroffen sind – darüber müssen wir unbedingt mehr sprechen!
EKOLOGISKA: Warum sorgt ein bewusster Umgang mit Papier für Artenschutz?
SCHÖNHEIT: Wenn wir Papier sparsam einsetzen und Recyclingpapier wählen, werden Waldökosysteme entlastet. Diese sind reich an Biodiversität: Etwa zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten leben in Wäldern. Artenvielfalt wiederum erhöht die Fähigkeit von Ökosystemen, sich an Umweltveränderungen wie die Klimakrise anzupassen – Arten- und Klimaschutz stehen in Wechselwirkung zueinander.
Deutschland verbraucht extrem viel Papier
EKOLOGISKA: Mit 230 Kilogramm pro Kopf und Jahr ist unser Papierkonsum extrem hoch. Weltweit liegen wir damit auf Platz drei. Andere Länder, wie zum Beispiel Frankreich, liegen da deutlich drunter. Warum ist der Verbrauch in Deutschland so hoch?
SCHÖNHEIT: Wir wissen aus Frankreich, dass sich die Regierung 2007 eine Halbierung des Papierverbrauchs in der Verwaltung zum Ziel setzte. Und diejenigen, die größere Mengen Papier in Verkehr bringen, müssen eine Abgabe zahlen. Ein weiterer Faktor ist der Umgang mit Lebensmitteln: In Frankreich wird weniger Convenience Food genutzt, mehr frisch gekocht, das spart Verpackungen. Und ein Jurist machte uns mal auf die Mentalität der „German Angst“ aufmerksam: Da viele Institutionen einen Verlust digitaler Daten befürchten, drucken sie Dokumente zusätzlich aus und archivieren sie in teils meterlangen Aktenschränken. In der Digitalisierung sind wir ja ohnehin vielfach noch nicht so weit wie andere Länder.
EKOLOGISKA: Was müsste die Politik aus Ihrer Sicht dagegen tun?
SCHÖNHEIT: Die mit Abstand größten Papiermengen fallen bei Verpackungen an, hier sind Vorgaben für bundesweit einheitliche Mehrwegsysteme der Schlüssel – auch im Onlinehandel und zwischen Unternehmen. Überflüssige Einwegprodukte wie z. B. Papiertüten oder Pappgeschirr gehören verboten. Wo Primärfasern benötigt werden, muss der Verlust wertvoller Waldflächen verhindert werden, deshalb ist eine Deklarationspflicht gefordert, woher das Holz stammt. Schauen wir über das Handlungsfeld Papier hinaus, so gibt es die Aufforderung des Netzwerks Ressourcenwende an die Bundesregierung, bis 2050 den Ressourcenverbrauch um 85 Prozent zu senken. Dafür braucht es ermutigende Beispiele, die deutlich machen: Das funktioniert! Indem wir z. B. nur noch alle 8 bis 10 Jahre ein neues Handy brauchen, deutlich weniger Fleisch essen und seltener neue Klamotten kaufen, öfter den Zug statt des Fliegers nehmen.
Was wir alle tun können
EKOLOGISKA: Worauf sollten wir als Verbraucher:innen beim Papierkauf achten?
SCHÖNHEIT: Auf den Blauen Engel! Er steht für maximalen Altpapiereinsatz, das Verbot kritischer Chemikalien und optimale Funktionalität. Die Recyclingpapiere sparen gegenüber Primärfaserpapier im Schnitt 68 % Energie, 78 % Wasser und mindestens 15 % CO2. Blauer Engel-Produkte gibt es inzwischen für fast alle Anwendungen, neben Kopier- und Hygienepapieren, Kuverts, Ordnern, Notiz- und Skizzenblöcken z. B. auch für Etiketten oder Post-its. Andere Logos auf Papierprodukten haben deutlich schwächere Kriterien: Trägt man z. B. ein Toilettenpapier mit PEFC- oder FSC-Siegel nach Hause, ist zwar ein Baum auf dem Logo abgebildet, aber leider auch im Produkt, da frisches Holz anstelle von Altpapier verwendet wird. Deshalb freuen wir uns über alle, die gemeinsam mit uns breit über die Bedeutung des Blauen Engels informieren.
EKOLOGISKA: Ihr Top-Tipp, um Papierverbrauch zu reduzieren?
SCHÖNHEIT: Papier doppelseitig nutzen! Werbung ablehnen, Prospekte abbestellen und sich aus Verteilern streichen lassen. Versandsysteme wie memo Box oder RePack wählen, mit eigenen Behältnissen einkaufen und auf Papier- und Plastiktüten verzichten, für Brot z. B. waschbare Stoffbeutel nutzen. Stofflappen – möglichst aus Bio-Baumwolle – statt Papier-Küchenrollen nehmen und Stoffservietten statt Einwegvarianten.
Digitale Alternativen smart nutzen: Bei digitalen Alternativen entsteht der überwiegende Teil der Umwelt- und sozialen Belastungen bei der Herstellung. Deshalb ist es entscheidend, Geräte möglichst lange zu nutzen, sie müssen reparierfähig sein, die Akkus austauschbar. Beim Download punktet kabelgebundener Internetanschluss. Man sollte auf schlanke Dateien achten z. B. durch niedrige Auflösung bei Fotos und Scans, Dokumente die man nicht mehr braucht, vom Server löschen und natürlich Ökostrom nutzen.
Mehr Infos zum Thema findet ihr in der digitalen Ausstellung des föps.